Badische Zeitung, Dienstag, 12. November 2013


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Aussicht auf ein Gebirge

Die Stiftung ist 30, der Stifter 70: Und das Freiburger Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft zeigt einmal in einer Ausstellung, welche Schätze es hat.

 

Da tut sich was auf. Die Stiftung ist 30 und Franz Armin Morat, der Stifter, eben 70 Jahre geworden. Und dies ist der geöffnete Blick auf das, was da ist: auf die Sammlungen des Morat-Instituts. Zu sehen ist viel – überwältigend viel. Aber natürlich nicht alles. Selbst diese Hallen in der Freiburger Lörracher Straße bieten dafür längst nicht den Platz.

 

Die Schau skizziert ein Gebirge, ein ganzes Ensemble von Bergstöcken – von Sammlungsblöcken. Er habe, hat Franz Armin Morat einmal gesagt, nicht "umfassende Überblicke" anzulegen versucht: Ausgewähltes zusammengetragen vielmehr, doch dies je in "größtmöglicher Breite". Sammlungsblöcke zu kunstgeschichtlichen Themen. Vor allem aber zu einzelnen Künstlern. Einem überragenden Maler des 19. Jahrhunderts zum Beispiel: Carl Schuch (der jetzt ausgespart bleibt). Oder einem italienischen Maler, der sich in kein Entwicklungsschema der Kunst des 20. einfügt: Giorgio Morandi. Da ist einer, der ist es wert: Das ist die Basis der sammlerischen Entscheidung. Das Ziel: der Anschauung einen Ort zu geben. Deshalb die Stiftung – deshalb das Institut. Es trägt den Familiennamen der drei Stifter, des Sammlers und seiner Eltern.

 

Eine Summe von Bekenntnissen ist die Sammlung. Nirgendwo sonst ist eine solche Konzentration etwa von Arbeiten Kurt Kocherscheidts zu finden oder Artur Stolls (je Hunderte). Und das druckgrafische Werk Francisco Goyas ist in denkbar größtem Umfang präsent. Ausstellungen solcher Werkblöcke hat es im In- und Ausland viele gegeben. Und eine lange Reihe von Publikationen liegt dazu vor. In der Ausstellung jetzt bietet ein Tisch von beachtlicher Länge einen Hügelrücken von Lesestoff. Von den 100 000 Bänden der Bibliothek des Instituts nicht zu reden.

 

 

Dass einer, der Neue Kunst sammelt, so einen Horizont hat, ist alles andere als selbstverständlich. Franz Armin Morat ist ein Freund der Künstler, aber auch Kunsthistoriker ist er. Andrea Mantegnas, des italienischen Renaissancekünstlers, berühmten Kupferstich "Bacchanal mit Silen", den Albrecht Dürer schon vor Augen hatte: Wir finden auch ihn hier bei ihm. Und in der Morat’schen Geschichte des Tiefdrucks ist auch Dürer präsent, unter anderm mit den drei "Meisterstichen", mit denen er auf Italien zurückstrahlte. Den "Hieronymus im Gehäus" hob Giorgio Vasari, der Florentiner "Erfinder" der Renaissance, hochlobend hervor. Wie Dürer da Licht zum Gegenstand macht! Wenn man neben dem "Hieronymus" die "Adam und Eva" sieht, dies antikisch behauchte Gottmenschenpaar Dürers, dann allerdings bleibt auch nicht verborgen, dass Druck nicht gleich Druck ist. Morats "Adam und Eva" sind von exzeptioneller Druckqualität. Und den Vergleich zwischen "gut" und "noch besser" vertieft die Schau am Beispiel von Blättern aus Francisco Goyas "Caprichos".

 

Mit einer Auswahl aus der "Tauromaquia" findet dieser erste Raum einen fulminanten Schluss, mit Goyas Erzählung von Leben und Tod im Bühnenspiel des Stierkampfs. Neben den Drucken aus fünf Jahrhunderten ist der Blick hier auf die Bildkunst der Medaillen der italienischen Renaissance gelenkt. Leon Battista Albertis Selbstporträt sehen wir. Und Pisanello in großartiger Breite. Auf eins von dessen Werken deutet Morat hin. "Sehen Sie den Reiter an." Und sieh da, untrüglich ist er es, der uns an der Wand gegenüber in Rembrandts "Drei Kreuzen" wiederbegegnet. Der Holländer hat Pisanellos Medaille gekannt, wahrscheinlich selbst besessen. Ein besessener Sammler, ein Mann mit einem übergroßen, alle irdischen Grenzen missachtenden Sammlerherzen. Franz Armin Morat lacht, er erkennt den Verwandten.

 

Die Sammlungsschau zum Jubiläum hat ihm ein Freund, ein Künstler, eingerichtet. Ian McKeever hat in einer der Hallen die Bildhauer versammelt. Franz Bernhard, der einen emphatischen Werkbegriff vertritt und menschliche Figur noch einmal, mit seinem Holz und Eisen, wie gegen einen Widerstand entstehen lässt: Körperfragmente dingfest macht. Karl Prantl, der den ästhetischen Wert des Naturmaterials, des Steins, wie kein zweiter kennt und hervorhebt. Ernst Hermanns, dem es weder ums Werkstück noch um den Werkstoff geht. Plastik inszeniert der Minimalist für das bewegliche Auge. Hinzu kommt Kurt Kocherscheidt: der Maler, der auch als Plastiker der Wand nahesteht.

 

Er selbst sprach von "Bretterwänden". McKeever zeigt "The Boys from Kolchis". Da lässt sich auch sehen, was Kocherscheidt meint, wenn er sagt: "Die Bilder rücken in die Nähe von Musik." Und Wolfgang Rihm verstehn, der Komponist, der Kocherscheidt so schätzte, dass er ihm eine Reihe seiner Stücke widmete. Die große Wand der Bretter ist wie in einen zeitlichen Fluss, in einen Gleichtakt versetzt. Wir stellen uns Musik von dinghafter Dichte vor.

 

Mit eigenen Mitteln sucht Herbert Maier Körpergewicht und Dynamik – in einer farbräumlichen Schichtenmalerei, die er mit dem Begriff des "Speichers" verbindet. Der Freiburger, den McKeever gleich im Entree platziert, gehört zum Morat’schen Künstlerkreis, wie Kocherscheidt, McKeever selbst, Artur Stoll und ja auch Rihm . . . Maiers zwei Großformate flankieren den Schmetterling aus Burkina Faso, die Tanzmaske von grandiosen zweieinhalb Metern Flügelspannweite.

 

Die Halle dahinter ist ein Figurenspeicher, dicht bestückt mit Skulptur aus Westafrika. Aufwändig geschnitzte Masken, rituelle Figuren von anrührender Einfachheit. Ohne Kurt Kocherscheidt, erklärt Franz Armin Morat, würde es den Afrikablock nicht geben. Kocherscheidt suchte die Nähe zur afrikanischen Skulptur. Er, der seine eigene Arbeit ausdrücklich von Deutung unangetastet sehen wollte, hatte Afrikas geballte Bildmacht vor Augen. Und das starke, verschlüsselte Bild ist es ja auch, das Künstler auf Reisen oft suchen. Die suggestive Begegnung mit dem Andern. Reiseskizzen hat McKeever dem Kraftfeld der Plastik Afrikas an die Seite gestellt. Da ist der erfahrene Afrikareisende Herbert Maier, das frühe Staunen Kurt Kocherscheidts in Südamerika. Da sind McKeevers eigene, in Neuguinea gewonnene Formgedanken. Raffi Kaisers Zeichengerät öffnet weiteste Räume.

 

Und endlich sind wir in der dritten Halle und sehen vier Maler sich die Wände teilen. Wieder Kocherscheidt, der sich gegen Plan und Form stemmt – auf der Suche nach Intensität und malerischer Dichte. McKeever mit seiner Malerei jenseits von Malerei. Als wären die Kräfte der großen Natur selbst mit im Spiel, so sieht es aus. Sedimentation und Erosion. Schon Gerhard Hoehme, den der Kurator einleuchtend mit einbezieht, verwarf die Vorstellung vom abgeschlossenen Bild. Sein zum "Ätna"-Zyklus gehörender "Fallensturz Rhomboid" sagt mit dem grafisch-plastischen Auswuchs unmissverständlich: dass "alles fließt". Mit Hoehme – einem Symposium und einer Bilderschau – begann 1987 die Geschichte der Morat-Hallen an der Lörracher Straße.

 

Als eine Ausstellung in Karlsruhe im vergangenen Jahr (mit vielen Morat-Leihgaben) Wolfgang Rihms Wahlverwandtschaft mit der Bildkunst illustrierte, da fehlte Artur Stoll aus Norsingen nicht. Er ist jetzt der Vierte in der Maler-Halle. Mit Bildern, die die Objektwelt an sich ziehen und direkt verschlingen. Man sieht ihnen an, dass es um etwas geht. Sieht den Maler sich malend zur Welt bringen. So gilt auch für ihn, was McKeever sagt: (im vom Morat-Institut herausgegebenen Kocherscheidt-Werkkatalog): "Bilder sind immer ein Anfang." Manche sehen dies als Herausforderung an – einer wie Stoll sah es als ein nie endendes notwendiges Leiden.

 

Giorgio Morandi, von dem die zwei Ölbilder Morats und ein gutes halbes Dutzend Zeichnungen hängen, hatte sich mit großer Gelassenheit dem endlosen Malen verschrieben. Morandi ist kaum je gereist. Wenn man seine Bilder sieht, dann ahnt man, warum sein Leben so statisch sein musste. Er wollte die Bewegung der Bilder nicht stören. Dem Auge Morandis waren diese dauernden Gefäße auf dem Tisch und der Hof hinterm Haus an der Via Fondazza in Bologna nie etwas anderes als Neuland. Die Stimmungen des Lichts und die Wege der Hand waren nie dieselben. Es ging darum, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu erkunden.

 

Morandi wollte sehen, wie im jeweiligen Jetzt und in wechselnden Nachbarschaften Formen sich immer neu bestimmen. Paul Cézanne soll ja die Hände verschränkt haben, um zu erklären, worum es ihm ging. Auch für Morandi, bei dem alles den Sinn der Beziehung atmet, mag die Geste gelten. Die Verschränkung wäre bei ihm von einer zärtlich zurückhaltenden Art. Bei diesem nur scheinbar statischen Maler ist selbst noch ein beiläufiger Abrieb des Bleistifts von einer weit reichend beziehungstiftenden Wirkung.

 

Der Freiburger Sammler Franz Armin Morat ist einer der profundesten Kenner Morandis und war wohl einer der ersten gewesen, der seine stille Dynamik verstand.
 

– Morat-Institut, Lörracher Str. 31, Freiburg. Bis 31. Dez. 2014, Sa 11–18 Uhr u. nach Vereinbarung,  0761/476 5916.
 

– Das Buch zum Jubiläum: Franz im Gehäus. Hrsg. vom Morat-Institut. Texte von Gottfried Boehm, Ian McKeever, Eva M. Morat, Wolfgang Rihm, Arnold Stadler u.a. Modo Verlag, Freiburg 2013. 199 Seiten, 140 Abbildungen, 35 Euro.

 

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