Die Welt als Geweb


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Das Freiburger Morat-Institut zeigt seinen großartigen Bestand der Bilder Carl Schuchs.

Carl Schuch? Erst nach dem Tod des Malers im Jahr 1903 war der Name in die Öffentlichkeit gedrungen. Sammlungsankäufe folgten – und blieben doch folgenlos. Unaufgearbeitet blieb das Werk. Ein unerkannter Sonderweg in die Moderne.

Ohne Franz Armin Morats Engagement wäre die Mannheim/Münchner Ausstellung von 1986 nicht zustande gekommen, die Schuch in seiner Entwicklung und Tragweite anschaulich machte und ihm einen Platz in der Frühmoderne zuwies. Die Schuch-Sammlung des Freiburger Morat-Instituts wuchs noch in den Jahren danach. 1998 war sie hier im Institut zu sehen, mit ihren 31 Gemälden ist sie es jetzt – die Jahrestagung der Carl-Schuch-Gesellschaft gab dazu den Anlass – endlich einmal wieder. Von allen Schuch-Kollektionen ist dies die größte, vor der in Schuchs Geburtsstadt Wien.

Dem kühnen Wort vom "deutschen Cézanne" fügten die mit der Ausstellung vor drei Jahrzehnten verbundenen Recherchen ein argumentatives Maßwerk hinzu. Gottfried Boehm sah bei Schuch alles andere als ein von der Folie des Realismus losgelöstes sinnfrei "Reinmalerisches" – vielmehr ein ausformuliertes "Erkenntnisinteresse". Malerei als "Erscheinungsforschung".

Von der "ätherischen Essenz der Erscheinung" sprach Schuch. Und es lassen sich von einem solchen Bildbegriff her selbst noch die hell verlöschenden, die Grenze der Sichtbarkeit austastenden, späten Bilder eines Giorgio Morandi verstehen. Dass in Morats Sammlung Morandis Sichtbarkeitsgestaltung und die Schuchs zusammenfanden, muss man als schlüssig ansehen. Ja, Schuch reicht weit. Doch erschwerten gewisse retardierende Momente, dies zu erkennen: seine Vorliebe für alt überkommene Stilllebendinge – und eine tiefe Verwurzelung im generellen Helldunkel. Bei Schuch ist der Weg zu einer modernen, offensiv gestaltenden Malerei ein evolutionärer Prozess – kein Umsturz wie bei den zeitgenössischen Franzosen.

Wie Generationen von Malern vor ihm, so wandte sich der junge Schuch noch erst nach Italien. Doch an den bekannten Orten romantischer Empfindsamkeit schleift sich bald sein Interesse. Schon die "Gasse in Olevano" verwandelt das pittoreske Motiv in einen strukturierten Flächenraum, in eine die Farbe modulierende Bildarchitektur. Die anschließenden Jahre in Venedig sind Jahre der Reflexion. Den Verlockungen des Ortes trotzt Schuch. Canal Grande oder Piazza San Marco spart er rigoros aus seinem Arbeitsplan aus. Er folgt der Anregung des Malerfreunds Trübner und widmet sich dem Stillleben.

Das Weiß der Tischtücher als Bühne der Farbhandlung

In den heißen Sommern "landschaftert" er malerisch wissbegierig im Pustertal oder in der fernen Mark Brandenburg. Nicht das atemberaubende Sujet zählt für ihn. Den langen Atem zu finden, um das Gesehene "aus der Logik der Tonfolge" (Boehm) zu entwickeln, darum geht es. Landschaft stellt Schuch als ein verwobenes Ganzes dar, ohne noch ihr Inventar im Einzelnen zu werten: Baum, Haus, Figur..., alles spielt in eins.

Was zuerst von Schuch zu Franz Armin Morat kam, war eins jener Entenstillleben, in denen der Maler in noch verhaltenen Tönen zur Bildeinheit fand. Die "coloristische Handlung", von der Schuch spricht, erfährt in den Pariser Jahren 1882 bis 94 – bis zum gesundheitlichen Zusammenbruch, mit dem die Arbeit endet – einen enormen Spannungszuwachs. Schön zu verfolgen ist in der Sammlung, wie Schuch vorgeht. Die leuchtenden Äpfel, die Fruchtschale, die Käseglocke sind wiederkehrende Objekte der koloristischen Testreihen. Das gebauschte Weiß der Tischtücher ist die Bühne der Farbhandlung. In den Gladiolen und Pfingstrosen vor blauem Vorhang ist das einbindende Dunkel ganz überwunden.

Offen und kritisch nimmt Schuch in Paris die Kunst auf; er weiß von Manet, er nimmt den Impressionismus wahr. Doch ist er weit davon entfernt, sich dem blindlings anzuschließen. Mit dem Mut zur malerischen Freiheit und der Behutsamkeit, die von seinem Verständnis der Malereigeschichte herrührt, widmet er sein Leben den eigenen farbmalerischen Wahrnehmungsstudien.

Und es sind am Ende eher noch als die Stillleben die Landschaftsbilder, auf die er hinaus will. Von Paris aus besucht er in sieben Sommern, auf Courbets Spuren, die verschwiegene Landschaft des Jura. An der Schweizer Grenze, am Saut du Doubs, entstehen finale Naturansichten: intime, fast unauflösliche Nahsichten von Bachbett und Waldinnerem, worin die Welt als Gewebe unmittelbar augensinnlich einleuchtet. Der Philosoph Arnold Gehlen hat in einer Passage seiner "Zeit-Bilder" solche Lösungsvorschläge Schuchs neben die "besten Werke Cézannes" gestellt. So ein bedeutendes Schlussstück dem Bestand noch einzufügen, hat der Freiburger Sammler im Sinn. Und zwar jenes, das lange als Leihgabe in der Mannheimer Kunsthalle hing und das Gehlen da im Auge hatte.

Es gibt Träume, die drängen drauf, wahr zu werden.

– Morat-Institut, Lörracher Str. 31. Bis 3. Oktober, Sa 11–18 Uhr.

 

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