Badischen Zeitung, Samstag, 29. Juli 2017


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Intensiv, laut und gut

Arbeiten von Jürgen Palmtag und Michael Jäger im Freiburger Morat-Institut. 

 

Malerei macht in der Regel keine Geräusche. Doch was passiert eigentlich, wenn plötzlich Text im Bildraum auftaucht? Wenn Worte Lautfolgen repräsentieren, die zwischen grob skizzierten Comicgesichtern, Industrielandschaften oder mit dem Strohhalm über das Papier geblasenen Tintenblütenabstraktionen wie ein imaginärer Soundtrack in die Wahrnehmung sickern? Kann man sagen, dass Sprache Bilder um das Potenzial von Klang erweitert, weil Worte, sobald sie gesprochen werden, eben immer auch Laute sind?

Jürgen Palmtag würde das kaum verneinen. Seit langem arbeitet der 65-Jährige mit seiner Kunst an der Grenze zwischen Bild und Sound. "Krakspeech" nennt er die experimentellen Live-Hörstücke, für die er Sprache jenseits der Semantik einsetzt; aber auch als Zeichner und Maler bewegt er sich mit starkem Hang zur produktiven Verweigerung von Sinn durchaus in der Tradition von Dada und Punk.

Farbsatter Sog in die Tiefe

Schön zu sehen ist das derzeit in einer Doppelschau im Freiburger Morat-Institut, die aktuelle Arbeiten von Palmtag in einen intimen Dialog mit Bildern des Kölner Malers Michael Jäger verstrickt. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden gemeinsam ausstellen. Doch derart nahe wie im Foyer des Morat-Instituts sind sie sich bislang nur selten gekommen. In abwechselnder Hängung bereiten sie hier dem jeweils anderen die Bühne für seinen eigenwillige Bildfindungen. Palmtags Porträt eines gelben Teddybären auf grell-orangenem Grund, flankiert von onomatopoetischem Gestammel ("risc ai piena") und aufgebracht auf superleichte Aludämmplatten, wie sie in der Flugzeugindustrie verwendet werden, trifft da exemplarisch etwa auf eine Komposition von Michael Jäger, in der sich wolkenartige Schlieren, amorphe Farbflächen, Gitterstrukturen und Rautenmuster zu einem schier undurchdringlichen Dickicht malerischer Setzungen überlagern.

 

Und das ist nur der Anfang. Bildpaar für Bildpaar vermessen die beiden das Foyer – und daran anschließend jeder für sich eine eigene Halle – in unterschiedlicher Bewegung und doch überaus harmonisch aufeinander abgestimmt. Scheinen Palmtags mit kraftvollem Strich oft nur angedeuteten Comicszenerien in die Fläche zu explodieren, gerne auch ins Epische gedehnt durch die Berge an Text, die sich durch seine Bildräume schieben, entwickeln Jägers spiegelnde Hinterglasmalereien einen farbsatten Sog in die Tiefe. Seit langem malt Jäger hinter Acrylglas und baut seine Bilder entsprechend von vorne nach hinten auf: Die obersten wahrnehmbaren Farbschichten entsprechen den ersten Spuren seines Pinsels, die in den Tiefen des Bildraums versteckten den letzten. Jäger erlaubt auf diese Weise einen synchronen Blick durch die räumlichen und zeitlichen Dimensionen seines Malprozesses. Eine ähnlich dichte, vor allem aber ausufernde Form von Transparenz schafft dagegen die gut 200-teilige Serie "Cards", die hier an der Wand als eine Art Vokabular malerischer Grundformen in Fotostandardformat 10 mal 15 Zentimeter Jägers Bildprogramm durchdekliniert.

 

Jürgen Palmtag hingegen nutzt die Wand nicht nur als Display, sondern gerne auch als Malgrund für riesige Wandbilder, die teils Motive seiner auf Papier oder Aluträger gebrachten Arbeiten in spektakulärer Assoziationslust erweitern, teils wie extrem vergrößerte Kopien von Notizzetteln oder Skizzen auf Restaurantservietten wirken, die allein schon durch ihr schieres Ausmaß so laut daherkommen, dass man das Rascheln und Kratzen, Kritzeln und Reiben ihres Entstehungsprozeses fast zu hören glaubt. Selten spielt Malerei so klug und wirkungsvoll mit den Intensitäten von Punk, Comic und Graffiti.

 

Sa, 29. Juli 2017, Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.

von: Dietrich Roeschmann

 

Morat-Institut, Lörracher Str. 31, Freiburg. Bis 30. September, Sa 11–18 Uhr und nach Vereinbarung. 

 

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