Wie Bilder Bilder werden

Von Volker Bauermeister, Artikel aus Badischen Zeitung vom Do, 27. Januar 2022

 

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Herbert Maiers Ausstellung "complementary" im Freiburger Morat-Institut.

 

Die Wände in der Lörracher Straße 31 haben schon viel gesehen. Auch und gerade von diesem Bildautor. Das Morat-Institut und Herbert Maier: eine lange Freiburger Geschichte. In der Sammlung ist viel von ihm, in den Ausstellungshallen war immer wieder etwas. Ölbilder, Aquarelle, Radierungen Holzschnitte... 2009 dann ein Rückblick auf zwei ganze Arbeitsjahrzehnte. Daran schließt dieser neue Auftritt an. Und an die Ausstellung im Freiburger Museum für Neue Kunst 2016. Sie überraschte mit einem Block von hunderten Aquarellen – einem Entwurf einer Geschichte des Menschenbildes in Beispielen aller erdenklichen Epochen und Kulturen, vom Steinzeitidol bis zur Dokumentarfotografie. Maier sprach von "Visueller Bibliothek". Ein imaginäres "Musée de l’Homme". Und doch auch: ein starkes Bündel wasserfarbener Bilder. Die auf flüssigem Grund verblüffend sicher gebaute Malerei gab den historischen Zitaten eine eigene Gegenwart. Aus Bildverweisen waren Bilder geworden.

 

Was der agile, mit Farbe agierende Maier als "Speicher" bezeichnet, nichts anderes waren auch sie. Gespeicherte malerische Handlung jedes einzelne Blatt im großen Speicher der "Bibliothek". Der Korpus der aquarellierten Menschenbilder war kein Fremdkörper im Werk. Der Künstler hatte sich durchaus nicht zweigeteilt. Die Ausstellung "complementary" zeigt jetzt den motivisch gebundenen Arbeitsstrang mit dem in langen Jahren entwickelten frei malerischen zu Bildpaaren vereint.

 

Das Bild vom Bild, das die "Bibliothek" ausmachte, erscheint in der Übersetzung ins Ölbild im Großformat. Korrespondierende Stücke findet der Maler im Blick auf die eigene Arbeit. Er bedient sich aus dem Fundus, und was zusammenkommt, leuchtet wirkmächtig ein. Auf den kompakten Kopf aus dem frühen Mexiko antwortet eine in schwerem Schwarz gebürstete Malfläche. Ein steinernes Kopffragment des Shiva verwandelt sich, fein lasiert, in ein malerisches Original. Ein Kopf wie ein unergründlicher Raum. Ein in ein Gelb gefasstes Lächeln. Pendant ist ein durchscheinender Farbvorhang, der eine Vorgeschichte als Single hat.

 

"Komplementär" sind zwei der Doppelungen betitelt. Einer Gefäßkeramik und dem Fragment einer Hirnschale ist je eine Leinwand eines Typus beigestellt, der bei Maier "Leerekörper" heißt. Was passiert, ist mit dem Paradox präzis bezeichnet. Massive Farbkörper werden zum Träger einer immateriell strahlenden Lasurmalerei. So fassen Bilder in eins, was Begriffe auseinanderhalten. Solche "Speicher" reflektieren eine ungeteilte Wirklichkeit. Und es ist kein exotistischer Spleen, wenn der Maler ein farbdynamisches All over mit "Malanggan" verbindet. Jenen legendären melanesischen Kultobjekten, in denen sich Körper und Raum verflechten. So dass am Ende unmöglich wird, etwas nicht als Zusammenhang zu sehen. Alles ist Fluss. Und voller Beziehung.

 

Ein Bild, das den Namen verdient, ist immer mehr als das, was sich darüber rasch sagen lässt. Mehr als ein überschaubares Quantum visueller Information. Und die Arbeit am dichten, am beziehungsdichten Bild ist Arbeit ohne Ende. Das zeigt schön einer der Vorräume im Morat-Institut; ein Werkraum mit den Folgen der Skizzen in aufgereihten Pultvitrinen. An den Wänden Bildstreifen, Variationen über die Idee des Fensters als offenes Bild. Nicht enden wollende Farbfensterbahnen. Überhaupt viel von dem, was der Künstler auf langen Reisen fand. Vieles aus Afrika. Man schaut nicht leicht durch. Die Studienblätter sagen nicht gleich, was dieses ist oder jenes bedeutet. Beschreibung reibt sich am Widerstand des Unvertrauten. Annäherung folgt auf Annäherung in flüssigem Aquarell. Ansichten eines unbekannten Alltags. Verschattete Räume. Körperrunde Lehmarchitektur. Masken, Maskentänze. All das bewahrt ein Eigenleben, bleibt letztlich unerklärt. Man könnte von anregender Ungewissheit reden. Die braucht es, damit aus Eindrücken Bilder werden. Um Bildgewinn geht es.

 

Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Lörracher Str. 31, Freiburg. Bis 25. Okt., Sa 11–17, an jedem ersten Sonntag im Monat 13–17 Uhr.

 

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