Badische Zeitung, Montag, 17. September 2012
Maler Carl Schuch - Wo die Dinge Farbe sind
Die Carl-Schuch-Sammlung des Freiburger Morat-Instituts, eine Schuch-Ausstellung in Wien und das Buch dazu.
In den 1970er Jahren hatte er angefangen nicht nur Werke des feinsinnigen Giorgio Morandi zu sammeln, sondern auch des Malers Carl Schuch (1846–1903). Ohne Franz Armin Morat hätte es die Schuch-Ausstellung 1986 in Mannheim und München kaum gegeben. Allererst wurde da deutlich, dass Schuch eine markante Figur an der Schwelle zur künstlerischen Moderne war. Sein methodisch entwickelter Bildbau aus der Farbe wurde in einen bildbegrifflichen Zusammenhang mit Paul Cézanne gesetzt; Arnold Gehlen hatte den Wink gegeben (seinerzeit in dem Buch "Zeit-Bilder"), der Basler Kunsthistoriker Gottfried Boehm knüpfte daran an. In Dortmund hat man aus der Einsicht unterdessen ein Ausstellungskonzept entwickelt: "Cézanne. Manet. Schuch. Drei Wege zur autonomen Kunst". Und zweieinhalb Jahrzehnte nach der in Mannheim und München durch das Freiburger Morat-Institut angeregten Neubewertung kommt Schuch nun in seiner Heimatstadt Wien zu neuen Ausstellungsehren. "Carl Schuch. Ein europäischer Maler" heißt die Schau im Belvedere.
Leihgeber ist an erster Stelle das Morat-Institut, dessen Schuchbestand seit 1986 sich im Umfang verdoppelt hat. Bilder wie die frühe "Brückenruine in der Campagna", "Atelier in Paris" und eine ganze Reihe von Stillleben, mit Wildenten, mit "Chiantiflache und Obstteller", mit "Kürbisschnitte und Weintrauben" oder die vor blauem Fond leuchtenden "Gladiolen und Pfingstrosen" kamen jetzt aus Freiburg nach Wien. Morat allein kann das Werk des Malers in allen Phasen und Facetten abbilden, das Stephan Koja im Katalogbuch nun wieder in der Parallele zum Zeitgenossen Cézanne sieht.
Schuch – ein durchaus auch leichtlebiger Mensch, ein Flaneur in erotischen Dingen, war doch vor allem eins: Reisender aus künstlerischem Antrieb. Seine Zielorte waren München, Venedig, Paris. Ruhelos war er auch im Atelier – ein Denker voll kreativer Unzufriedenheit. Die Übersetzung des Sichtbaren in Bildmaterie war, was er von sich verlangte. Kein schweifender Erzähler, sondern ein Autor "koloristischer Handlung" war er.
In Venedig (1876–1882), sagt er, habe er sich "die Schwärzen abgewöhnt" . Von Venedig, von den sublimen Reizen der schwimmenden Stadt zeigt er nichts; kaum, dass er nach draußen schaut. Aber in den Sommern ist er in der Landschaft, gern mit Freund Hagemeister (dem späteren Biographen) im ganz unspektakulären Brandenburg. Landschaftsmalerei ist für ihn das Höchste – malerische Erfahrung will er im Stillleben sammeln. Alles ist für ihn Übung. Er arbeitet an sich: seinem malerischen Vermögen, seiner Sehfähigkeit. Fertigkeit, bloße Manier ist ihm ein Gräuel.
Ein Fenster, das sich öffnet
In Paris will er weiter lernen, sich an den Zeitgenossen schulen. Den Impressionismus nimmt er mit kritischem Interesse auf, Monet als Maler von Licht und Luft ist für ihn eine Größe, aber kein Vorbild. Cézannes Kunst der Farben, die Koja mit Rilkes Dichterworten beschreibt – "Ihr Verkehr untereinander: das ist die ganze Malerei" –, Cézanne bleibt ihm verborgen. Wie hätte er ihn aufgenommen? Man weiß es nicht recht. Schuchs "farbiges Ereignis" (Koja) schließt ja das Helldunkel noch ein, das Cézanne verneinte. Schuch nimmt den dunklen Raumschatten – nicht anders als das weiße Tischtuch – als neutralen Grund, um darauf das Ensemble der farbigen Dinge zum Klingen zu bringen. Und er begeistert sich für das Sonnenleuchten des Weins im Glas, für das Schimmern von Zinn, die zarte Haut der Trauben – für den Reichtum der stofflichen Erscheinung, den der große Gleichmacher Cézanne bei seiner Arbeit am Kontext – am farbformalen Ganzen mit kühnem Vorsatz übersieht. Dass Schuch ein "Cézanne aus Wien" gewesen sei, ist nichts als ein hübscher Feuilletonismus. Er hatte seine eigenen Prämissen, seine eigene Anschauung von der "Essenz der Erscheinung". Er suchte mit eigenen Augen.
Sein systematisches Suchen bildet sich in den Notizheften ab, halb Skizzen-, halb Tagebuch, in denen er, wie der Schuch-Forscher Roland Dorn sagt, "Erlebtes und Erstrebtes" aufscheinen lässt. Vier solcher Hefte sind erhalten, zwei aus der Venedig-Zeit, zwei aus der in Paris (1882–1894). Eins liegt der Publikation im Faksimile bei. Neu transkribiert sind sie sämtlich, die Hefte. In dem seitenlang Kleingedruckten öffnet sich dem geduldigen Leser ein neues Fenster auf den Maler.
Wohin den der Weg führte, das zeigt dann das große "Waldinnere" aus der Sammlung des Belvedere, das Koja einen "Höhepunkt" nennt. Nur ein Stück Erdboden, Steine und Moos und darauf die schmalen Stämme der Bäume. Dies aber großartig gesehen – förmlich zusammengesehen. Als farbmalerisches Gewebe. Die selbst gestellte Forderung des Landschaftsmalers nach "Intimität" erfüllt sich so.
Solche Beziehungsintensität – zwischen den Dingen, wie zwischen den Dingen und dem Maler selbst – finden wir dann auch bei Giorgio Morandi, den die Freiburger Morat-Sammlung noch immer im schönen Werkblock einschließt. Der war zu seiner Zeit ein "Einzelgänger der Moderne", nicht anders als Schuch, den Koja so nennt. Auch so einer, der sich ein Leben nahm nur allein fürs Hinschauen. Um einigen wenigen, naheliegenden Dingen auf den Grund zu gehen. Und damit dem Augensinn selbst! Was wir von beiden sehen, ist auch dies seltene Beispiel der Hingabe.
– Carl Schuch. Ein europäischer Maler. Agnes Husslein-Arco, Stephan Koja (Hrsg.), Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2012, 264 S., mit beiliegendem Faksimile eines Notizhefts, 39 Euro.
– Ausstellung im Belvedere, Wien, bis 14. Oktober.
Volker Bauermeister