BZ-Plus Sa. 11. November 2023 - Kunst


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Franz Armin Morat zum Achtzigsten: Ein Stifter von Anschauung

Von Volker Bauermeister

 

BZ-Plus | Franz Armin Morat wird am 11. November 80. Vier Jahrzehnte lang war der Sammler, Stifter und Mäzen das Gesicht des Freiburger Morat-Instituts für Kunst und Kunstwissenschaft. Eine Würdigung.

 

 

 

Die laufende Ausstellung (die BZ berichtete) ist ein Schlussakt. Die Stiftung schließt zum Jahresende das Haus in der Lörracher Straße, gibt damit ihre Bühne auf. Doch zeichnet sich eine Zusammenarbeit mit den Städtischen Museen ab. Kulturbürgermeister von Kirchbach spricht von "guten Gesprächen". Gern will man sich vorstellen, dass der Sammlungsbestand in Freiburg beisammen – und dauerhaft sichtbar bleibt, als Leihgabe der Stiftung. Ja, man kann ihr eine Zukunft nur wünschen, wenn man sich ansieht, was sie an Kunst besitzt. Und es ist der Geburtstag des Stifters gerade auch ein Anlass, etwas dazu zu sagen.

Von Franz Armin Morat zu reden, das heißt, von Bildern reden. Und von seinem Institut. Doch war dies nicht der Anfang von allem. Ein mäzenatischer Aktivist war Morat schon lange. Gottfried Boehm, der Kunsthistoriker, nennt ihn einen "passionierten Ermöglicher". Seine Aktivitäten bündelte er zunächst in der Heinrich-Heine-Stiftung für Philosophie und Kritische Wissenschaft. Heine-Stipendiaten waren Rudi Dutschke, der 68er-Vordenker, der Kulturhistoriker Hans Peter Duerr, der Philosoph Günter Figal... und Gottfried Boehm, der 1983 auch Gründungsmitglied des Morat-Instituts war. Damit trat (die vermögenden Eltern als Co-Stifter hinter sich) der Kunstsammler Franz Armin Morat in den Vordergrund.

 

 

 

Was passiert mit den Ausstellungshallen? Die Stadt Freiburg sucht dringend neue Räume für die städtische Galerie L6, die aus der Lameystraße 6 in Zähringen ausziehen muss. Die 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche des Morat-Instituts würden deren Möglichkeiten enorm erweitern, daher möchte die Stadt das Gebäude kaufen. Bürgermeister Ulrich von Kirchbach sieht sich in "sehr guten Gesprächen" und hofft, Anfang 2024 dem Gemeinderat einen Vorschlag vorlegen zu können. Die ebenfalls dringend gesuchten Atelierräume lassen sich dort aber wohl nicht realisieren, wie manche gehofft hatten: Die Sanierungskosten des energetisch schwierigen Gebäudes wären zu hoch.


Sammeln hieß für ihn: Einsicht suchen, Einsicht schaffen. Anschauungsmöglichkeit. Und zwar in Form ganzer Werkblöcke – zu Malern wie Gerhard Hoehme und Ian McKeever. Dem Malplastiker Artur Stoll und Herbert Maier. Zu Karl Prantl, dem Bildhauer, und Franz Bernhards dinghaft materialisiertem Menschenbild. Eine Sammlung von Sammlungen entstand. Darin in eindringlicher Nahsicht: Kurt Kocherscheidt, der früh zu Morat fand und allzu früh starb – nach einem Auftritt auf der Documenta IX.

Und gewichtige kunsthistorische Themenblöcke kamen zusammen. Der der Medaillen und Plaketten der italienischen Renaissance, mit dem Selbstporträt Leon Battista Albertis, dem kleinen großen Meisterwerk aus den 1430er Jahren. Und der der Kupferstiche und Radierungen, mit Andrea Mantegna und Martin Schongauer. Albrecht Dürer schließt der Block ein, Rembrandt, Claude Lorrain… die Druckgrafik Francisco Goyas als eine Sache für sich. Der Morat‘sche Goya glänzt durch Umfang und Druckqualität. Wie er Goya unter die Lupe nahm, selbst gute Blätter abstieß, um sie durch noch bessere zu ersetzen, zeichnet den Sammler aus. Bezeichnet den Anspruch, den er mit "Anschauung" verbindet.

 

Morat ist ein passionierter Ermöglicher
 

Forschung in Anschauung zu fassen, war im Institut Programm. Symposien sorgten für Klärung im Sammlungsbestand. Gerhard Hoehme war ein Gegenstand. Auch der "Werkdialog" von Kurt Kocherscheidt und dem Komponisten Wolfgang Rihm. Ein Kolloquium bereitete eine Ausstellung in Mannheim und München vor: Den eher wenig beachteten Maler Carl Schuch (1846–1903) auf eine neue Anschauungsbasis zu stellen, war das Ziel. Etwa mit einer Freiburger Ausstellung von 2015. Schuch wurde sichtbar als einer, der zukunftsweisend Farbe verstand. Als ein Medium, das die Dinge im Bild erst hervorbringt. Den Befund bestätigte eine Dortmunder Ausstellung, die Schuch einen Platz neben Manet und Cézanne einräumte. "Ein europäischer Maler" titelte eine in Wien. Keine kam ohne Bildleihgaben aus der Morat-Sammlung aus.

In den 1970er Jahren hatte Franz Armin Morat Bilder auch des Italieners Giorgio Morandi (1890–1964) zu sammeln begonnen. Was schon da war, brachte er 1981 in die Morandi-Retrospektive im Münchner Haus der Kunst ein, mit der die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ihn beauftragt hatte. Er war es, der erstmals das Spätwerk hervorhob. Einen Maler somit, der in seinem Sehen weit geht. Sehen als Suche versteht. Aus einer scheinbaren Enge heraus – mit Stillleben-Intimität und ein paar Fensterblicken – eine unvermutete Weite der Sicht erschließt. Nichts scheint für sein Auge festzustehen.

 

Mehr zum Thema:"Der Blick in den Bernstein" – unsere Besprechung der finalen Ausstellung des Morat-Instituts vom 20. Juni 2023.

 

Gerade in Italien sah man mit Erstaunen auf die Freiburger Morandi-Sammlung. Auf der kulturellen Landkarte Italiens fand damit Freiburg einen Platz. Was Passion nicht alles möglich macht! Der Sammler kannte keine Grenze. Doch nahm der "passionierte Ermöglicher" eines nicht wahr: dass ihm nicht wirklich jedes möglich war. Er überzog – die Stiftung geriet in die Klemme. Um sie zu sichern, wurde es nötig, das Herzstück anzugreifen. Morandi. An zwei Tagen im Spätjahr 1995 gingen bei Sotheby‘s in London Morats Morandis in die Auktion.

Ein Rest blieb in Freiburg erhalten. Klein ist er, an dem gemessen, was einmal war. Als Sammlung wiegt er aber noch immer. Zwei Aquarelle, zehn Radierungen und 22 Zeichnungen. In ihrer leisen Unruhe, ihrer klarsichtigen Ungesichertheit bilden viele den späten Morandi ab. Den Maler in seiner Bedeutung erkannt, gesammelt und gezeigt hat Franz Armin Morat. Ein Stifter von Anschauung ist er. Wer wollte ihn anders sehen?

 

 

Morat-Institut, Lörracher Straße 31, Freiburg. Bis zum Jahresende, Sa 11-17 Uhr u. nach Vereinbarung, 0761/4765916.

 

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